Antirassistische Aktionstage in Karlsruhe – Auswertung des Anarchistischen Netzwerks Südwest*

DemoAm 30. und 31. Oktober fanden in Karlsruhe die antirassistischen Aktionstage statt. Organisiert wurden diese von einem lokalen Bündnis, bei dem auch die Libertäre Gruppe Karlsruhe mitwirkte. Als Gruppen des Anarchistischen Netzwerk Südwest* mobilisierten wir mit einem gemeinsamen Aufruf und organisierten gemeinsame Anreisen aus Freiburg, Offenburg, Kaiserslautern und Stuttgart zum Sternmarsch am Samstag. Außerdem stellten wir Samstags (gemeinsam mit weiteren Unterstützer*innen) Emotionale Erste Hilfestrukturen inklusive Infostand und Safer Space.

Freitag. 30 Oktober

Schon am Freitag, den 30. Oktober, fanden diverse Aktionen statt. So gab es eine Mahnwache und Installation am Friedrichplatz, welche über die Themen Fluchtursachen, Flucht, Migration und der Situation von Geflüchteten vor Ort informierten. Weiterhin gab es zahlreiche theatrale Interventionen im Stadtraum zum Thema Abschiebungen und Fluchtursachen. Unter anderem wurde vor dem Regierungspräsidium aus einem als Bus der Firma Eberhardt umdekorierten Auto die Angestellten des RP zu ihrer eigenen Abschiebung eingeladen, symbolische Transitzonen und irrwitzige Asylantragsstellen eingerichtet, sowie Passant*innen zu ihrem Wissen über das Asylverfahren und die Asylgesetze befragt.

InstallationDie Abteilung 8 des Regierungspraesidiums Karlsruhe ist für die Unterbringung, Verteilung und Organisation der Abschiebungen von Flüchtlingen in ganz Baden-Württemberg verantwortlich. Hier entscheiden die Schreibtischtäter*innen ganz bürokratisch und gesetzeskonform über das Schicksal von Menschenleben. Das Pforzheimer Busunternehmen Eberhardt ist an den Transporten zum Abschiebeflughafen Baden-Baden massgeblich beteiligt, profitiert also direkt von der unmenschlichen Abschiebepraxis.

Samstag 31. Oktober

Am Samstag Morgen gab es einen Infostand am Bahnhof. Um 12 Uhr sammelten sich Menschen an den drei Mahnwachen an der Ausländerbehörde, der Landeserstaufnahmestelle an der Durlacher Allee und an der Außenstelle der Landeserstaufnahmestelle in der Kriegstraße. Von diesen Punkten zogen die drei Finger mit je zwischen 50 und 70 Menschen Richtung Friedrichplatz. Der Treffpunkt des Anarchistischen Netzwerks war Kriegstraße – hier verweigerten die Securitys den Aktivist*innen den Zutritt zum Gelände. Durch Parolenrufe und mitgebrachte Flyer konnten trotzdem einige Geflüchtete erreicht werden. Diese schlossen sich dann dem Demofinger an. Nach einigen Streitereien mit der Polizei in Bezug auf Startzeitpunkt und (Nicht)angabe der Personalien der Ordner*innen hielt diese sich dann den restlichen Tag angenehm im Hintergrund.

InfotischAls alle drei Finger den Friedrichplatz erreicht haben gab es dort eine Kundgebung mit diversen Redebeiträgen (u.A. sprach spontan eine Geflüchtete aus Afghanistan über ihre Fluchtgründe und Mitglieder der Karlsruher Refugee Community und des Freiburger Forums über Fluchtursachen und die Asylrechtsverschärfungen), Infotafeln und Installationen.

Ein Teil der Teilnehmer*innen machten sich daraufhin zu den Protesten gegen die Kundgebung der Faschisten von “Steh auf für Deutschland” am Bahnhof auf. Hier standen sich 22 FaschistInnen die Beine in den Bauch. Auch die neofaschistische NPD beteiligte sich mit zwei Transparenten und ihre Pirmasenser Ortsgruppe stellte den Lautsprecherwagen. Von den Redebeiträgen verstand man dennoch nichts, wurden sie doch von rund 100 Antifaschist*innen lautstark übertönt.

Derweil startete vom Friedrichsplatz ein Demozug mit rund 350 Teilnehmenden welcher sich durch die Karlsruher Innenstadt bewegte. Auf dem Weg wurde ein massiv von der Polizei abgesicherter AfD Infostand und das Regierungspräsidium passiert. Vom Lautsprecherwagen wurde immer wieder auf den Anlass der Demonstration hingewiesen, zudem gab es einen ausführlichen Jingle. Bei der Abschlusskundgebung am Schlossplatz sprachen sich Vertreter*innen des DGB, der Partei die Linke, des Anarchistischen Netzwerks Süd-West, des Bündnis gegen Abschiebung Karlsruhe und des Flüchtlingsrats Baden-Württemberg entschieden gegen die Abschiebepraxis und für solidarische Aktionen mit Geflüchteten aus.Mehrfach berichteten Flüchtlinge, u.a. aus Serbien von ihren Erfahrungen: Sie beschrieben die konkreten Bedrohungen in ihren Herkunftsländern und forderten einen konstruktiven Umgang mit ihrem Anliegen, sowie ein menschenwürdiges Leben.

Einschätzung

RedeSehr gut war die Vorbereitung und Organisation der Aktionstage durch das lokale Bündnis. Es gab einen vielfältigen Mix aus Infoständen, Essenständen, Straßentheater, Installationen, Demos und Kundgebungen mit denen an zwei Tagen viele Menschen erreicht werden konnten. Besondes der LKW in Kombination mit einer guten Anlage und einem professionellen Jingle erzielt bei Demonstrationen eine gute Außenwirkung. An dieser Stelle einen großen Dank an alle Aktiven aus Karlsruhe.

Für uns enttäuschend war die geringe Teilnehmer*innenzahl. Besonders im Vergleich zu der von uns organisierten antikapitalistischen Demonstration 2012, den Aktionen gegen den Nazi-Aufmarsch in Pforzheim 2013 oder – mit Abstrichen – an den Protesten gegen den Tag der deutschen Einheit 2013 und der Präsenz des Themas – sowohl in der Szene, wie auch im Öffentlichen Diskurs – war die Anzahl der Teilnehmenden unterdurchschnittlich. Hier müssen wir uns die Frage stellen an was dies gelegen haben könnte.

Im Anhang gibt es noch den von uns gehaltenen Redebeitrag und bei Beobachter News einen weiteren Artikel.

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Liebe Zuhörer und Zuhörerinnen,

wir sind heute zusammen auf der Straße, um ein symbolisches Zeichen gegen den Rassismus in Staat und Gesellschaft zu setzen.

Rassismus hat viele Gesichter: diskriminierende Sprüche und Gesten, Polizeikontrollen aufgrund der Hautfarbe, nächtliche Abschiebungen, wöchentliche Brandanschläge, Pogrome wie in Freital und Heidenau, diskriminierende Gesetze, Essenspakte und Sammellager, die Sortierung von Menschen nach ihrer ökonomischen Nützlichkeit.

In der aktuellen Flüchtlings-Debatte wird immer wieder die Unterscheidung von Geflüchteten in zwei Gruppen vorgenommen: Auf der einen Seite die »nützlichen« gut ausgebildeten Einwanderer*innen und die » echten Kriegsflüchtlinge« aus Syrien. Auf der anderen Seite die »Wirtschaftsflüchtling« oder gar »Scheinasylanten«, die das Asylsystem »missbrauchen« würden, womit vor allem aus den Balkan-Ländern kommende Menschen gemeint sind. Diese sollen so schnell wie möglich wieder abgeschoben werden. Aber diese Unterscheidung von legitimen und nichtlegitimen Fluchtgründen ist rassistisch. Sie dient der Rechtfertigung der Diskriminierung und Abschiebung eines Großteils der Geflüchteten. In Baden-Württemberg sind das besonders Roma aus den Balkanländern, welche vor Diskriminierung und Armut fliehen und denen gerade mit den Gesetzesänderungen der letzten Wochen das Leben hier bis ins unerträgliche erschwert wird.

Nun sind sich die bürgerliche Zivilgesellschaft und alle großen Parteien inzwischen ja endlich einig, dass PEGIDA kein Gesprächspartner sein darf. Die bürgerliche Fassade, die PEGIDA sich anfangs aufgesetzt hatte, ist spätestens zur Jubiläumsdemo und Akif Pirincis mit Beifall beklatschte Rede von den Konzentrationslagern, die gerade leider still stehen, endgültig zerbröckelt. Inzwischen sind sich alle einig, dass PEGIDA keinen Platz hat in der bürgerlichen Mitte.

Offenkundig will die bürgerliche Mitte ein anderes Deutschland darstellen als das von PEGIDA. Der kurze Sommer der Willkommenskultur war eben auch eine großartige Inszenierung: Deutschland hilft Flüchtlingen, und ich war dabei! Wenn ein Zug im Münchner Hauptbahnhof ankam und von Menschen mit Blumen und Getränken begrüßt wurde, standen gleich dahinter duzende Fernsehkameras, und die BILD-Zeitung titelte „Refugees Welcome“. Das ist zunächst natürlich schön. Doch im Rückblick und unter Beachtung der Ereignisse der letzten Wochen drängt sich doch ein weiterer Gedanke auf: Dass es dieser bürgerlichen Mitte nämlich noch um etwas anderes geht, als einfach Flüchtlingen zu helfen. Es geht ihnen auch darum, einen schönen Schein zu inszenieren, ein gutes Deutschland, auf das man stolz sein kann.

Während also die linke Hälfte der bürgerlichen Mitte versucht, sich ein Deutschland zu bauen, auf das man stolz sein kann, passiert gleichzeitig im Grunde das, was PEGIDA und Co. von Anfang an wollten. Vor wenigen Wochen beschloß die ganz große Koalition aus CDU, SPD und Grünen die härtesten Asylrechtsverschärfungen seit Mitte der 90er Jahre im Schnellverfahren. Kritik konnte keinen Raum finden, unter dem Eindruck des inszenierten Notstandes musste alles ganz schnell gehen. Dieses Verfahren offenbart eine Wende zum Autoritarismus in der deutschen Politik: Nicht einmal ein offener Verfassungsbruch, der mit dem „ Asylverfahrensbeschleunigungsg esetz“ begangen wurde, spielte noch eine größere Rolle im öffentlichen Diskurs. Denn vor einem Jahr hatte das Verfassungsgericht festgelegt, dass das „menschenwürdige Existenzminimum migrationspolitisch nicht zu relativieren ist“ – genau das aber wurde vor wenigen Wochen doch beschlossen, dass nämlich Menschen, denen der deutsche Staat keinen sicheren Aufenthaltsstatus zugestehen will, in Zukunft nichteinmal dieses menschenwürdige Existenzminimum mehr zugesprochen bekommen, sondern nur einen massiv reduzierten Satz zur bloßen Sicherung des physischen Überlebens.

Was wird damit bezweckt? Man will denjenigen der Flüchtlinge, die man offenkundig nicht in Deutschland haben will, das Leben hier so schwer und unerträglich wie irgendwie möglich machen. Diese Politik wird von Grün bis CSU von allen mitgetragen.

Was heißt das für uns? Eigentlich nicht viel. Dass wir in die bürgerlichen Parteien kein Vertrauen haben dürfen, wenn es um die Solidarität mit Flüchtlingen geht, sollte uns schon lange klar sein. Doch gerade die letzten Monate machen deutlich, dass wir eben auch nicht bei der einfachen Unterstützung Geflüchteter mit Klamotten stehen bleiben dürfen. Das ist natürlich gut und wichtig, entspricht aber mehr oder weniger dem Ausmaß an Unterstützung Geflüchteter, das auch vom deutschen Staat noch goutiert wird. Alles andere dann aber nicht mehr, und gerade auf dieses andere kommt es an, wenn wir es ernst meinen mit der Solidarität mit Geflüchteten: Wir müssen dafür sorgen, dass der Widerstand gegen Abschiebungen wächst und von einer breiten Basis mitgetragen wird. Wir müssen Geflüchtete ernst nehmen in ihren Bedürfnissen und Wünschen und, wo es geht, selbstorganisierte Proteste von Geflüchteten unterstützen und in die Breite tragen. Wir müssen uns den ganzen Versuchen, Flüchtlinge aufzuteilen in „gute“ und „schlechte“ Gruppen, entschieden entgegensetzen und das auch in die Asylkreise und bürgerlichen Gruppen hineintragen. Niemand flieht ohne Grund, unsere Solidarität muss gerade auch denen gelten, die vom Staat eben nicht willkommen geheißen werden.

ENGLISCH

Dear listeners,

today, we’re on the street together to take a stand against racism in both civil society and the state.

Racism has many faces: discrimantory language and gestures, racial profiling and police checks out of having a dark skin, deportations happening in the mid of the night, weekly arson attacks on refugee lodgings, even pogroms and raging mobs as in Freital and Heidenau, new laws that discrimate against people without a save permit of residence, refugees being detained to internment camps and only receiving ready-made food packages instead of money to chose food to their will, and an ever increasing tendency to sort refugees according to the economic utilty.

In current debate on refugees, it becomes more and more prominent to distinct refugees into two groups. On the one hand, there’s the „useful“ ones, well-educated immigrants and the „proper“ war refugees from Syria. On the other hand, there’s the so-called „economic refugees“, who are even called „Scheinasylant“, which means they are labeled as betrayers the asylum system. People sorted into this latter group shall be deported as quickly as possible, according to the general will of the state and the majority of society. However, this distinction of appropriate and invalid reasons to flee one’s place of living is deeply racist. It is a construction that serves the purpose of justifying the deportation of a major part of the refugees arriving in Germany. Here in Baden-Württemberg, this concerns mostly Roma from the western balkan states who flee from discrimanation and poverty. And it is those people to whom the recent law amandements are mostly targetted, and they are supposed and likely will make their lives unbearably hard.

Civil society and the major parties agree at last, that the neo-right PEGIDA movement should not be a proper conversation partner. The civil facade which PEGIDA wore in its beginning wore off, at the latest on their one-year jubilee. There, right-wing ideologist Akif Pirinci barefacedly spoke of the pity that it is that Nazi concentration camps are not en mode anymore in Germany, and received much acclaim from the crowd in front of him. By now pretty much everyone agrees that PEGIDA should not have a stand within mainstream society.

This mainstream society wants to stage another Germany than that of PEGIDA. The short summer of „Willkomenskultur“ was a great enactement of this imagined „good Germany“. Germany was oh-so welcoming towards refugees, and everyone could be part of it! Once a train arrived at Munic main station and was welcomed by a supportive crowd with flowers and drinks, there always were dozens of TV cameras right behind, and the BILD-Zeitung, a major populist tabloid, titled „Refugees welcome“. That’s great, of couse. However, in view of the events of the last weeks, another idea strikes us. Could it be that this mainstream society that oh so spontaneously started welcoming refugees this summer maybe has aonther interest, than helping refugees? I think this other interest is definitely prominent, and it is to stage the appeareance of a good Germany on which one can be proud.

So while the left-leaning part of mainstream society tries to construct this Germany on which one can be proud, what happens is pretty much exactly what PEGIDA and other right-wing factions wanted in the first place. A few weeks ago, the great-great coalition of CDU, SPD and Green party has passed the tightest strengthening of asylum law since the mid-90ies. There was no space for intervention or critique, under the impression of an imagined „state of emergency“, the whole procedure went as quickly as legally possible. This whole process reveals an authoritarian turn in German politics: Not even the open breach of constitution, which was committed with this „Asylverfahrensbeschleunigungsg esetz“, played a major role in public discourse. Just a year ago, the constitutional court decided that there’s a minimum level of financial support that the state has to provide to everyone, as a condition of the constitutional term that the dignity of man may not be violated. Nevertheless, this is just what happened a few weeks ago, when it was decided that people for which the German state does not want to grant a secure residence status, will not even be granted this minimum level of financial support in the future, but only a massively reduced allowance to secure mere physical survival.

What does this lead to? The intention is to make life as hard and unbearable as possible for those refugees who are obviously not wanted in Germany. This politics is supported by the entire political spectrum, from the Greens to the CSU.

What does this mean for us? Not much, really. That we must not trust the bourgeois parties, when it comes to solidarity with refugees, should be clear to us for a long time already. Yet especially the last few months show us, that our simple act of just supporting refugees with clothing does not go far enough. This, of course, is a good thing and important, but corresponds more or less with the extent of support of refugees still approved by the German state. It does not go beyond that, and this is just what should be so important, if we are serious about the solidarity with refugees: We must make sure that the opposition against deportation grows, and is carried by a broad basis. We have to take serious refugees in their needs and wishes and, where it is possible, we must support self-organized protests of refugees and spread them. We must firmly fight all the attempts to divide refugees in “good” and “bad” groups, and bring it into asylum circles and bourgeois groups, too. No one flees without a cause, our solidarity must especially also be for those who are exactly not welcomed by the state.


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