Breakthrough – Silvesterdemo in Freiburg

breakthrough-plakat-flyer-vorneIn den letzten zwei Jahren rückte das Thema Knastkritik wieder verstärkt ins Blickfeld der Freiburger radikalen Linken. Den Startschuss bildete eine unangemeldete Demonstration am Abend des 31. Dezembers 2011. 2012 gab es neben einer Veranstaltungsreihe mit Kundgebung zum Thema und einem längeren Text der Anarchistischen Gruppe Freiburg, auch wieder einen vorgezogenen Knastspaziergang. Dieses Jahr wurde am 17. März eine Leserunde zum Tag der politischen Gefangenen im autonomen Zentrum KTS abgehalten. Am 8. Juli wurde Thomas Meyer-Falk zur Sicherungsverwahrung in die JVA Freiburg verlegt. Der Ermittlungsausschuss Freiburg organisierte eine Lesung um über Thomas Lage zu informieren. Er selbst informiert auch auf seinem Blog in regelmäßigen Abständen über seine Situation.

Für den 31. Dezember ist nun dieses Jahr eine Silvesterdemonstration und zwei begleitende Veranstaltungen unter dem Motto „Breakthrough – Für eine Gesellschaft ohne Knäste!“ geplant. Auf linksunten.indymedia gibt es einen Übersichtsartikel zur Demo.

Aufruf zur Demo

Breakthrough – Für eine Gesellschaft ohne Knäste!

knastkritik„Um einen Staat zu beurteilen, muss man seine Gefängnisse von innen sehen“, so zitiert die Website der JVA Freiburg den russischen Schriftsteller Leo Tolstoi und verklärt damit ihre tatsächliche Funktion. Die besteht vor allem darin, wie in ihrem Leitbild völlig richtig steht, „einen wesentlichen Beitrag zur inneren Sicherheit“1 zu leisten, also Stütze des demokratisch verfassten Staats des Kapitals zu sein. Auch der staatskritische und Zeit seines Lebens mit anarchistischen Ideen sympathisierenden Literat Tolstoi wusste wohl davon und schrieb 1901 in sein Tagebuch: „Wie viel Mühe kostet die Niederschlagung und Verhütung von Aufständen: Geheimpolizei, andere Polizei, Spitzel, Gefängnisse, Verbannungen, Militär! Und wie leicht sind die Ursachen für Aufstände zu beseitigen.“2

Die Ursache von Aufständen, seien es solche im großen (Revolten, Straßenschlachten, Plünderungen) oder solche im kleinen (Ladendiebstahl, Grafftis, Schwarzfahren, Drogenbesitz) liegt nicht etwa in der Bösartigkeit oder Verbrechenslust der ausführenden Menschen, sondern gründet in der fortwährenden Herrschaft von Staat, Nation und Kapital. Das allgemeine Bewusstsein über das Gefängnis geht fehl, wenn es darin nur Mordende und Vergewaltigende vermutet: Nach der polizeilichen Kriminalstatistik 2012 sind 0,1% der angezeigten Delikte in Deutschland Straftaten gegen das Leben (sprich Mord, Totschlag, Tötung) und 0,8% sind Sexualdelikte. Demgegenüber handelt es sich bei der großen Mehrheit mit rund 67% um Eigentumsdelikte (also Schwarzfahren, im Supermarkt klauen, Wirtschaftsbetrug).

Solche Fakten sind dem herzlich egal, der sich mit billigen Argumenten gegen eine Knastkritik für besonders klug hält.3 Denn da geht’s fast immer um die Mordende und Vergewaltigende, die man doch nicht frei herumlaufen lassen könne. Die Schicksale der anderen 99% werden leicht beiseite geschoben, stattdessen folgen die Menschen mit standardisierten Aussprüchen wie „Wenn das alle machen würden…“ und „Ich kann ja auch nicht einfach…“ ihrem Empfinden, das bürgerliche Recht und seine allgemeine Durchsetzung verteidigen zu wollen. Übersehen wird hierbei, was der französische Schriftsteller Anatole France schon 1894 festhielt: Dass es nämlich unter der majestätischen Gleichheit des Gesetzes sowohl Reichen wie Armen verboten ist, unter Brücken zu schlafen, auf den Straßen zu betteln und Brot zu stehlen.

Diese formale Gleichheit vor dem Gesetze zementiert die materielle Ungleichheit der bürgerlichen, kapitalistischen Gesellschaft. Und so wie diese Gesellschaft aller Unkenrufe der universitären Wissenschaftsarbeiter*innen zum Trotz immer noch eine Klassengesellschaft ist, so ist auch die Justiz strukturell stets eine Klassenjustiz. Dies nicht etwa, weil der*die Richter*in korrupt wäre oder den Interessen der herrschenden Klasse willfährig folgen würde, sondern weil der bürgerliche Staat durch sein Gewaltmonopol das Recht auf Privateigentum (an Produktionsmitteln) festschreibt. Zwar sind damit Bourgeois (definiert über die Verfügungsgewalt über die Produktionsmittel) und Prolet (definiert als von den Produktionsmitteln getrennt und deshalb dazu gezwungen, seine Arbeitskraft zu verkaufen) vor dem Gesetz wirklich gleich. Real ist es aber doch so, dass nur der Prolet gezwungen ist, sogenannte Straftaten zu begehen, um seinen Lebensunterhalt zu sichern.

Einige Beispiele verdeutlichen dies gut: Friedliche Fabrikbesetzungen im Rahmen „wilder“ Streiks zur Durchsetzung von Lohnerhöhungen fallen etwa unter den Tatbestand der Nötigung, während der Einsatz von Polizeigewalt gegen solche Besetzungen legal ist. Einbruch, Diebstahl und andere Eigentumsdelikte müssen nur von denen begangen werden, die nicht die Ressourcen haben, andere für sich arbeiten lassen zu können. Das Recht auf körperliche Unversehrtheit gilt für den ausgeraubten Unternehmer wie für seinen Angestellten – der Täter kann mit empfindlichen Strafen rechnen. Im Gegensatz dazu gilt jedoch die Zerstörung von Körper, Geist und Psyche der Angestellten in der kapitalistischen Fabrik jenes Unternehmers nicht als „Körperverletzung“ sondern geschieht völlig legal. Das Recht dient der Durchsetzung von Staatsinteressen gegen die Interessen der meisten Bürger*innen – es ist ein Mittel der Herrschaft.

Will man dieses Gesellschaftssystem praktisch abschaffen oder zumindest Schritte dahin unternehmen, schlägt der Staat als Garant der „öffentlichen“ Sicherheit mit aller Härte zurück. Unser Genosse Thomas Meyer-Falk überfiel 1996 eine Bank, um mit dem erbeuteten Geld linke Projekte zu unterstützen. Nach seiner Verhaftung begann seine Odyssee durch das süddeutsche Knastsystem. Zuerst in Isolationshaft in Stuttgart-Stammheim, dann in Isolationshaft im bayrischen Straubingen und weiter nach Bruchsal, wo er 2007 in den „Normalvollzug“ überstellt wurde. Seit Sommer diesen Jahres hat Thomas nun seine Haftstrafe abgesessen, der Staat nimmt ihn aber immer noch als Bedrohung wahr, da er sich weder dem Zwang zur „Therapie“ noch zur Arbeit beugen mag, gegenüber den Autoritäten kein Blatt vor den Mund nimmt und sich bis heute weigert, seinen politischen Ansichten abzuschwören. Thomas sitzt nun in der Sicherungsverwahrung in der JVA Freiburg (auf Grundlage eines Gesetzes, das 1933 von den Nationalsozialisten eingeführt wurde) und ihm sind Ausgang und Hafturlaub nur unter inakzeptablen Bedingungen erlaubt.4 Trotz seiner langen, kräftezehrenden Haftzeit schreibt Thomas weiter auf seinem Blog gegen die Haftbedingungen in deutschen Knästen und gegen diese Knastgesellschaft an.

Wir sagen es frei heraus: Als Anarchist*innen und Kommunist*innen wollen wir eine Gesellschaft ohne Gefängnisse oder andere einsperrende Institutionen. Wir fordern keine besseren Haftbedingungen! Eine Gesellschaft, die darauf angewiesen ist Menschen hinter Gittern verrotten zu lassen, lässt sich nicht reformieren, sondern nur abschaffen! Deshalb rufen wir für den 31. Dezember zu einer Demonstration gegen diese Knastgesellschaft auf. Zeigen wir unsere Solidarität mit den Inhaftierten und lassen wir sie wissen, dass es außerhalb der Mauern Menschen gibt, die sie als Gefangene der Gesellschaft und nicht als das Übel derselbigen ansehen.

Freiheit für Thomas und alle anderen politischen und sozialen Gefangenen!
Für eine Gesellschaft ohne Knäste! Für den Kommunismus, für die Anarchie!

JVA Freiburg (Tennenbacher Str.) | 18 Uhr

1 Leitbild JVA Freiburg
2 Tolstoi, Tagebücher 1901
3 „Ja nee, is klar! Gesellschaft ohne Knäste. Und was passiert mit einem Mörder oder Vergewaltiger? Der soll einfach frei herumlaufen bis er sich das nächste Opfer sucht?“ (beliebiger Kommentar)
4 http://freedomforthomas.wordpress.com/2013/11/19/freiburgs-knast-vor-gericht/

Für eine weiterführende Kritik siehe:

Junge Linke: Das staatliche Strafen
Anarchistische Gruppe Freiburg: Für eine Gesellschaft ohne Knäste!


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