„…die Knastkritik wieder ins Gedächtnis einer sich als radikal verstehenden Linken rufen…“

banner_bigVom 4. Juli bis zum 8. August 2012 findet in Freiburg eine Veranstaltungsreihe statt, die ein leider etwas marginalisiertes Thema wieder ins Licht der Öffentlichkeit rücken soll. Wir haben die Organisator_innen gebeten, uns in einem Interview mehr über die Veranstaltungsreihe und die Hintergründe zu erzählen.

Erzählt doch mal kurz etwas über eure Gruppe und darüber, was bisher so eure Tätigkeitsfelder waren…

Die Anarchistische Gruppe Freiburg haben wir im Sommer 2008 gegründet, hauptsächlich mit den Zielen, uns zu organisieren, anarchistische Theorie mit linksradikaler Praxis zu verbinden und uns mit anderen Gruppen bzw. Einzelpersonen zu vernetzen und auszutauschen.

Bisher haben wir hauptsächlich inhaltliche Veranstaltungen organisiert und gehalten, zu Demonstrationen und Aktionen mobilisiert, Texte zu verschiedenen Themenbereichen verfasst und waren mit unserem Infotisch auf Konzerten, Partys und Festivals präsent.

Wie seid ihr auf die Idee gekommen, inhaltlich zum Thema Knast-Kritik zu arbeiten?

Repression und Knast haben immer in gewisser Weise unsere politische Arbeit beeinflusst und beeinträchtigt. Allerdings finden wir, dass die oft gehörte und gelesene Parole „Freiheit für alle politischen Gefangenen!“ mit einer emanzipatorischen Perspektive nicht zu verbinden ist, weil sie unserer Meinung nach zu kurz gedacht ist.

Vielmehr muss es darum gehen, diese Forderung mit einer Kritik an Herrschaft und Strafe zu verbinden und diese wieder ins Gedächtnis einer sich als radikal verstehenden Linken zu rufen. Außerdem ist es wichtig, das Ganze in eine grundsätzliche Kapitalismus- und Staatskritik einzubetten, um schlussendlich auch irgendwann die „Verhältnisse umzuwerfen, in denen der Mensch ein erniedrigtes, ein geknechtetes, ein verlassenes, ein verächtliches Wesen ist“ (Karl Marx, Zur Kritik der Hegelschen Rechtsphilosophie).

Tatsächlich inspiriert, zu diesem Thema zu arbeiten, wurden wir von den jährlichen Anti-Knast-Demos zu Silvester in Köln (und in vielen anderen Städten auch), an denen Leute von uns des öfteren teilgenommen haben. Die Aktionsform, zu Silvester mit guten inhaltlichen Redebeiträgen rund um den Knast zu ziehen, Grußwörter an die Gefangenen zu verlesen und das Ganze mit Feuerwerk zu untermalen, hat uns sehr angesprochen.

Vor fast einem Jahr haben wir begonnen, uns inhaltlich tiefer mit Knast und Strafe zu beschäftigen und haben dazu eine Kritik ausgearbeitet. Ein erstes Ergebnis dieser Arbeit haben wir zu Silvester 2011 in Form eines Flugblatts mit dem Titel „Für eine Gesellschaft ohne Knäste!“ veröffentlicht.

Aber dabei ist es nicht geblieben, oder?

Zusätzlich fand in Freiburg zu Silvester eine nicht öffentlich beworbene und unangemeldete Demonstration mit rund 60 teilnehmenden Menschen statt, die wir mitorganisiert haben. Mit Redebeiträgen und unterstützt von einem Großaufgebot an Feuerwerk zog die Demonstration um den Knast und konnte so einiges an Aufmerksamkeit, auch bei den Knastinsassen, hervorrufen. Die Polizei hielt sich die ganze Zeit auf Abstand und so konnte die Demonstration selbstbestimmt durchgesetzt werden.

Und wie enstand dann die Idee, eine knastkritische Veranstaltungsreihe zu organisieren?

Nach der erfolgreichen Demonstration bestand weiterhin das Interesse, gemeinsam und kontinuierlich zu dieser Thematik zu arbeiten. Auch hier verfolgen wir den Anspruch, Theorie und Praxis zu verbinden. Die Veranstaltungsreihe ist quasi die Fortsetzung der inhaltlichen Auseinandersetzung im Vorfeld der Silvester-Demonstration.

Nun ist das Thema ja nicht gerade ein Hauptbetätigungsfeld der linksradikalen „Szene“. Das war ja früher noch anders…

Genau. „Früher“, also in den 70er und 80er Jahren, war die Parole „Freiheit für alle Gefangenen!“ bzw. eine grundsätzliche Knastkritik in vielen Debatten und Texten, auf Demos, Aktionen und Plakaten – zumindest in „der autonomen, linksradikalen Szene“ – präsent. Doch diese Parole bzw. Forderung wurde nach und nach verwässert. So entstand aus ihr z.B. „Freiheit für alle politischen & sozialen Gefangenen!“ und neuerdings nur noch „Freiheit für alle politischen Gefangenen!“.

Was tatsächlich ausschlaggebend für diesen Wandel war, können wir leider nicht genau sagen. Die Verhältnisse, „die Szene“ und die inhaltlichen Schwerpunkte haben sich geändert, heute haben die Menschen größtenteils mit anderen Problemen zu kämpfen, wobei das Thema (politische) Repression nach wie vor noch einen hohen Stellenwert hat. Allerdings beschäftigt sich die „klassische Linke“ meist nur mit einigen wenigen skandalisierten Einzelfällen. Dadurch wird eine tiefergehende Auseinandersetzung mit der Thematik aus dem Weg gegangen. Gleichzeitig findet natürlich auch ein gewisser Rückschritt hinter die Debatten und Diskussionen der vergangenen Jahre statt.

Allerdings können wir auch eine positive Entwicklung beobachten: in relativ vielen Städten haben sich explizite Anti-Knast-Gruppen gegründet und auch viele andere, emanzipatorische Gruppen beschäftigen sich wieder mit diesem Thema, organisieren Demos, Knastspaziergänge und Veranstaltungsreihen, veröffentlichen Texte und Diskussionsbeiträge u.a.
Wen wollt ihr mit der Veranstaltungsreihe ansprechen?

Die Veranstaltungen richten sich natürlich erst einmal an alle interessierten Menschen. Inhaltlich haben wir uns auf eine niedrige Einstiegsschwelle entschieden: für keines der
Seminare, Vortäge und Workshops setzen wir Vorkenntnisse in den verschiedenen Thematiken voraus. Das war uns wichtig, um niemanden auszuschließen. Außer natürlich Nazis, Sexist_innen und sonstige Arschlöcher.

Und wie wird das Ganze ablaufen?

Wir beginnen am 4. Juli recht locker mit einem Open-Air-Kino und dem Film „Das Experiment“. In diesem geht es um ein psychologisches Experiment in einer künstlichen Knastsituation. Schnelle Identifikationen mit der jeweiligen Rolle als „Wärter“ und „Gefangener“ lassen das Ganze aus dem Ruder laufen.

Weiter geht es am 14. & 15. Juli mit einem Wochenendseminar zur Einführung in die Kapitalismuskritik. Zusammen mit Menschen von der Gruppe Jimmy Boyle aus Berlin soll es zwei Tage lang darum gehen, was Kapitalismus ausmacht und wie er funktioniert. Wir finden es wichtig, die Verhältnisse zu verstehen, die den Knast und Staat brauchen um zu existieren, um sie schlussendlich kritisieren zu können.

Wie schon erwähnt, soll auch die Praxis natürlich nicht zu kurz kommen: Dazu rufen wir am Samstag, dem 21. Juli ab 19 Uhr zu einer Kundgebung vor dem Haupteingang der JVA Freiburg auf.

Am Abend des 24. Juli geht es gleich mit zwei Sachen weiter: Zum einen bieten wir einen Workshop zum Thema „Wie schreibe ich Gefangenen?“ an, danach wird es eine Lesung aus der neuen Broschüre „Mit solidarischen Grüßen aus dem Knast – Texte und Bilder von Gefangenen“ geben.

Am 3. August halten Referent_innen vom Anarchist Black Cross Berlin bei uns einen Vortrag über den Knast als Feld politischer Auseinandersetzung.

Den vorläufigen Abschluss der Veranstaltungsreihe bildet dann am 8. August Rudolf Mühland, der uns etwas über verschiedene Umgangsweisen mit der Knast- und Strafthematik in Theorie und Praxis von Anarchist_innen erzählen wird. Außerdem wollen wir an diesem Abend gemeinsam diskutieren, wie das Ganze in einer herrschaftsfreien Gesellschaft aussehen könnte.

Was mache ich, wenn ich die Veranstaltungen – aus welchen Gründen auch immer – nicht besuchen kann?

Von den Vorträgen und den Redebeiträgen auf der Kundgebung wird es in jedem Fall Audiomitschnitte geben, die dann auf unserer Website zu finden sein werden. Vom Wochenendseminar werden wir leider keinen Mitschnitt anfertigen können – denn das würde aufgrund der Länge jegliche Speicherkapazitäten sprengen…

Vielen Dank für das Gespräch!

Dieses Interview ist am 1. Juli in der Gǎidào erschienen.


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