Freiburg: Das Problem heißt Patriarchat! Einige Gedanken zum Fall Maria L. und des rechtspopulistischen Interesses für die Rechte der Frau

Folgender Text ist in der Gai Dao 01/2017 erschienen.

Mitte Oktober wurde die junge Freiburger Studentin Maria L. auf dem Heimweg von einer Party der Fachschaft Medizin vergewaltigt und ermordet. Viele Frauen in und um Freiburg haben seitdem größere Angst, insbesondere nach Einbruch der Dunkelheit alleine unterwegs zu sein. In der linken und feministischen Szene wurde nach den beiden Morden darüber diskutiert eine politische Aktion mit Bezug auf die beiden toten Frauen zu organisieren – jedoch entschied man sich aus Rücksicht auf die Wünsche der Familien der Ermordeten dagegen. Stattdessen fand am 25. November im Rahmen des Internationalen Tags zur Beseitigung von Gewalt gegen Frauen eine von Frauen organisierte Demonstration statt, um ein allgemeines Zeichen gegen Gewalt an Frauen zu setzen. Schnell wurden jedoch auch lokale Rechtspopulisten auf das Thema aufmerksam. Am 4. November organisierte ein AfD-Sympathisant aus Freiburg eine „Lichterkette mit Trauerzug“, um an Maria L. „zu gedenken“. Die Aktion war nicht mit der betroffenen Familie abgesprochen. Zu dem Aufzug erscheinen ca. dreißig Personen, darunter aber noch keine bekannten Aktivisten der AfD. Diese wiederum bemühten sich derweil, das Thema „sexuelle Belästigung deutscher Frauen durch Asylbewerber“ online weiter aufzubauen.

Am 3. Dezember präsentierte die Freiburger Polizei dann den mutmaßlichen Täter im Fall Maria L.: einen jungen Flüchtling aus Afghanistan. Seitdem bekommt der „Fall Freiburg“ bundesweite Medienöffentlichkeit und in den sozialen Medien überschlagen sich die Hass-Kommentare. Antirassistischen Initiativen wird, meist anonym, vorgeworfen, für den Mord verantwortlich zu sein – schließlich sei es die „Willkommenskultur“, die den Täter ins Land gelassen habe und erst antirassistische Aktivist_innen hätten die Studentin dazu verführt, ebenfalls flüchtlingsunterstützend tätig zu sein.

Der Freiburger Ortsverband der AfD reagierte erwartungsgemäß prompt. In einer Pressemitteilung bezeichnet sie Maria L. als „weiteres Opfer der Willkommenskultur“, fragte rhetorisch „wo die ganzen Linken jetzt seien“ und setzte für den 4. Dezember eine Spontankundgebung „gegen die Merkelsche Politik“ an. Den zwanzig Rechtspopulisten standen 300 Gegendemonstrant_innen gegenüber. Diese konnten die Instrumentalisierung des Mordes weitgehend unterbinden – die AfD-Anhänger wurden schließlich umringt von Antifaschist_innen und unter Polizeischutz zum nächsten Polizeirevier eskortiert. Gefährlicher als dieser recht lächerliche Auftritt auf der Straße ist jedoch die zunehmende Verbreitung der Argumente der Rechtspopulisten in den sozialen Netzwerken – auch weit über ihr eigenes Wählerklientel hinaus. Denn dort wird eine rassistische Stimmung angefeuert, die sich potentiell in Gewalttaten gegenüber Nicht-Deutschen, Feminist_innen, Linken und anderen AfD Gegner_innen entladen könnte.

Die Argumente der Rechtspopulisten sind dabei so simpel gestrickt wie altbekannt. Ein überproportional hoher Anteil der in Deutschland ankommenden Flüchtlingen mache die Gruppe der jungen, alleinstehenden Männer aus. Die große Mehrheit dieser jungen Männer komme aus islamischen Staaten, besäßen demnach eine andere – sich von der deutschen fundamental unterscheidende – Kultur, die sich durch Frauenverachtung, religiöse und kulturelle Intoleranz und archaische, gewalttätige Umgangsformen auszeichnen würde. Dementsprechend seien sie nicht in der Lage, sich in die deutsche Mehrheitsgesellschaft zu integrieren und würden zu einem hohen Prozentsatz straffällig. Ihre Einreise sei nach Möglichkeiten zu verhindern und die schon hier Lebenden müssten schnellstmöglich des Landes verwiesen werden.

Der Freiburger Mordfall passt scheinbar perfekt in dieses Schema. Der mutmaßliche Täter ist ein junger Flüchtling aus Afghanistan – einem Land, von dem die meisten Deutschen nur wissen, dass es dort radikale Islamisten gibt und dass die Bundeswehr dort „ihre“ Freiheit durch Brunnenbau verteidigt. Er entstammt also einer Gesellschaft, die stark durch den politischen Islam geprägt ist und in der die Missachtung von Frauenrechten trauriger Alltag ist. Das reicht als Argument zumeist schon: Wir konntet ihr Linken nur solche Leute ins Land lassen? Neben einer Schließung der Grenze und verschärften Abschiebepolitik wird von rechts nun auch gefordert, die rechtlichen Bestimmungen hinsichtlich DNA-Entnahme und -Auswertung zu lockern und die Polizeikräfte aufzustocken. Letzterem stimmen auch weite Teile der liberalen Öffentlichkeit zu. In der öffentlichen Debatte werden die Rechtspopulisten gekontert durch sich ähnelnde Statements etwa von Freiburgs grünem Oberbürgermeister Salomon, Angela Merkel und auch der Redaktion der örtlichen Badischen Zeitung. Sie betonen die rechtliche Kategorie der individuellen Schuld und warnen vor unzulässigen Verallgemeinerungen auf alle Geflüchteten. Sie stützen sich bei dieser sicherlich richtigen Aussage auf die Kriminalstatistiken, die regelmäßig bestätigen, dass es unter Geflüchteten im Vergleich zu den Einheimischen keine überproportional hohe Rate an Gewaltverbrechen gibt.

Doch während die Rechtspopulisten den Fall für Hetze gegen Geflüchtete in Stellung bringen bleibt auch die liberale Argumentation unzureichend. Zwar stimmt es, dass jede schwere Gewalttat gegen die sexuelle Selbstbestimmung ein Einzelfall ist. Doch die Täter bewegen sich nicht außerhalb der Gesellschaft, sie sind vielmehr deren Produkte. Die unzähligen Einzelfälle von Gewalt gegen Frauen sind über eine gesellschaftliche Struktur miteinander verbunden, die immer wieder männliche Subjekte hervorbringt, die in steter Regelmäßigkeit Gewalt gegen Frauen ausüben. Diese Struktur ist das Patriarchat, die strukturelle Herrschaft von Männern über Frauen. Das Patriarchat ist eine globale Struktur: In allen Weltgegenden werden Frauen durch Männer unterdrückt und ausgebeutet. Was sich von Region zu Region unterscheidet ist der Grad und die Form dieser Unterdrückung. In diesem Sinne haben die Rechtspopulisten auch recht, wenn sie sagen, dass in muslimisch, genauer gesagt durch den politischen Islam geprägten Gesellschaften wie Afghanistan, Frauenunterdrückung weiter verbreitet ist als in bürgerlich-demokratischen Gesellschaften wie Deutschland.

Aber auch in Deutschland bekommen Frauen weniger Lohn für die gleiche Arbeit, arbeiten häufiger im Niedriglohnsektor, werden Opfer von sexuellen Übergriffen und häuslicher Gewalt. Es wird Frauen allzu oft nahegelegt, sie seien das „schwächere“ Geschlecht und immer noch werden ihnen meist Zuständigkeiten wie Kochen, Putzen und Kindererziehung zugeschoben. Es folgt hieraus keine Kausalkette zu Vergewaltigung und Mord, männliche Machtphantasien finden hier aber ihre alltägliche Bestätigung. Die meisten Vergewaltigungen in Deutschland werden nicht durch Fremde, sondern durch nahe Bekannte, (Ex-)Partner oder Familienangehörige begangen. Und immer noch wird den betroffenen Frauen häufig genug – wenn sie es wagen, zu berichten, was ihnen angetan wurde – eine (Mit-)Schuld an der Tat zugeschoben. Dies festzustellen ist keine Relativierung des Schreckens, den viele Frauen in islamischen Ländern Tag für Tag durchleben müssen, es verdeutlicht aber die globale Dimension des Herrschaftsverhältnisses Patriarchat.

Die „Lösungen“, die von den Rechtspopulisten der AfD angeboten werden, machen deutlich, dass es ihnen in keiner Weise um die Bekämpfung der Ursache der Gewalt gegen Frauen geht, sondern sie gänzlich andere Motive antreiben: Nationalismus und Rassismus. Denn worauf laufen die „Lösungen“ der AfD hinaus? Durch die Schließung der Grenzen, die Abschiebung der nach Deutschland Geflüchteten und die Verschärfung des Asylrechts werden keine Gewalttaten gegen Frauen verhindert, allenfalls verschiebt sich der Ort des Verbrechens. Menschen, die vor Armut, Perspektivlosigkeit, Krieg und Verfolgung nach Deutschland fliehen, den Zutritt gewaltsam zu verwehren ist vielmehr ein Programm der organisierten Unmenschlichkeit. Es gibt keinen vernünftigen Grund – solange man die Vernunft nicht einzig instrumentell versteht – die Zufälligkeit des Geburtsortes zum Kriterium zu erheben, ob jemand in einem Land leben darf oder nicht. Das unverdiente Privileg, über den Aufenthalt eines anderen Menschen entscheiden zu können, ist Resultat einer Geschichte der Gewalt, bei der man das schlichte Glück hatte, zufällig zum Bürger eines Staates gemacht zu werden, der in einer relativ frühen Phase erfolgreich in den kapitalistischen Weltmarkt eingetreten ist.

Die plötzliche Entdeckung und Verteidigung von Frauenrechten durch die AfD ist keine fortschrittliche Entwicklung der rechtspopulistischen Partei, sondern die medienwirksame Darstellung des nationalchauvinistischen Reflexes, das „kollektive Heimatfleisch vor fremder Entwertung” schützen zu wollen (wie es Richard Schubert in konkret 2/2016 treffend ausdrückte). Hier findet keine Solidarisierung mit Frauen statt, sondern deren erneute Objektifizierung. Keiner Rede wert sind der AfD tatsächliche Frauenunterdrückung in den Herkunftsländern der Geflüchteten oder die Gewalt, der geflüchtete Frauen durch Partner, Familie, Sicherheits- oder Grenzpersonal auf der Flucht und im Ankunftsland ausgeliefert sind – genauso wenig wie der Großteil sexualisierter Gewalt, die hierzulande stattfindet. Ein tatsächlicher Kampf gegen die Unterdrückung von Frauen müsste genau diese Bereiche betreffen und die Betroffenen unterstützen und einbeziehen.

Erwartungsgemäß hat die AfD davon nichts zu bieten. Im Gegenteil betont sie in ihrem baden-württembergischen Wahlprogramm die Rolle der Klein-Familie, allein gedacht in der Konstellation Mann-Frau-Kinder, als „Keimzelle und Fundament der (deutschen) Gesellschaft“. Sie bewirbt aktiv die „Mutter-Vater-Kind“-Beziehung, will lebenslange Ehen fördern, die häusliche Erziehung und die Rolle der Mutter stärken. Die Rechtspopulisten positionieren sich dabei klar gegen Frauenrechte: Sie sind gegen das Selbstbestimmungsrecht der Frau über ihren Körper und stehen Abtreibungen ablehnend gegenüber. Die Frau soll in ihrer Rolle als Mutter und Hausfrau aufgehen. Gelder und Lehrstühle an Universitäten für Frauen- und Geschlechterforschung sollen gestrichen, Frauenquoten und Gleichstellungsbeauftragte abgeschafft werden. In den eugenischen Träumen der völkischen Flügels der AfD sollen Frauen schließlich in der Rolle einer „Gebärmaschine“ für eine ausreichende Zahl an Kindern sorgen, um den „Fortbestand des deutschen Volkes zu sichern“. Klar ist: Das Thema Gewalt gegen Frauen ist den organisierten Antifeministen der AfD keine Silbe wert, solange die Täter keine Flüchtlinge sind.

Das Auftreten von sexualisierter Gewalt einer „anderen Kultur“ anzulasten ist ein rassistisch-essentialisierendes Argument – das zudem noch vom eigenen Sexismus ablenken soll. Geflüchtete Männer aus islamischen Gesellschaften sind ihrer kulturellen Prägung nicht willenlos ausgeliefert. Sie sind – ebenso wie Männer hierzulande – denkende Subjekte, die ihre Verstrickung in Herrschafts- und Ausbeutungsverhältnisse reflektieren und verändern können. Dazu brauch es eine feministische Kritik an diesen patriarchalen gesellschaftlichen Verhältnisse, eine kritische Reflexion von Männlichkeit, eine emanzipatorische Bewegung, die auch in unzugängliche Strukturen intervenieren will. Das wird nicht ohne Widerspruch möglich sein – daher braucht es dabei auch einen militanten feministischen Selbstschutz von Frauen für Frauen. Damit können zwar weder ein subjektives Sicherheitsgefühl wiederhergestellt noch Übergriffe oder gar Morde einfach verhindert werden. Feministische Intervention ist jedoch die einzige Form, der von patriarchalen Machtverhältnissen beförderten Gewalt gegen Frauen praktisch etwas entgegenzusetzen.

Gewalt gegen Frauen entsteht nicht aus dem Nichts, sondern ist Produkt einer strukturell frauenfeindlichen Gesellschaft – ob hier in Deutschland oder in den sogenannten „Herkunftsländern“. Wer sie bekämpfen will muss frauenfeindlichen Ideologien jeder Couleur eine deutliche und praktische Absage erteilen: Sowohl dem politischen Islam wie auch den neurechten Populisten der AfD. Wenn irgendwelche Schlüsse aus dem „Fall Freiburg“ zu ziehen sind, so ist es der, dass der Kampf für die (Selbst-)Befreiung der Frau transnational geführt werden muss, eben weil das Patriarchat ein globales Herrschaftsverhältnis ist.


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